Lesung „Ein Rückblick auf ein Jahr Gotha“

Es ist tatsächlich sechs Jahre her, dass ich als Stadtschreiberin in Gotha war – jetzt bin ich für eine Lesung zurückgekehrt und habe mir vorher Gedanken gemacht, was von der Zeit geblieben ist.

Stadtschreiberin in Gotha

Gotha feiert in diesem Jahr 1.250-jähriges Stadtjubiläum und hat zu diesem Anlass zwölf frühere Stadtschreiber:innen eingeladen, auf ihr Jahr in Gotha zurückzublicken, mein Jahr war 2019. Mein Fazit, nachdem ich meine Kolumnen für die Thüringer Allgemeine, meine Blogbeiträge und meine Briefe und Mails wiedergelesen habe: Wir sollten uns viel öfter Zeit nehmen, zurückzublicken, um zu entdecken, wie Erlebnisse nachwirken – und das gilt nicht nur für persönliche Erfahrungen, sondern auch für historische Ereignisse. Aber ich habe natürlich nur auf das geschaut, was 2019 in Gotha geschah und mich am Freitagabend gefreut, dass ich mit dem, was mir in Erinnerung geblieben ist, die Zuhörer:innen zum Lachen und zum Nachdenken gebracht habe.

Meine Lesung im Kurzdurchlauf

Begonnen habe ich die Lesung mit meiner ersten Kolumne „In der Fremde sieht man anders“. Das meiste hätte ich heute genauso geschrieben, nur einen Aspekt, den ich damals auch in der Pressekonferenz erwähnt habe, trifft heute nicht mehr zu. Mir war beim ersten Besuch ein Eisbär-Graffiti an einem verfallenen Haus aufgefallen, das heute nicht mehr verfallen, sondern hübsch renoviert ist 😊 Ein bisschen hat sich also geändert in den Jahren. Nicht geändert hat sich die Wohlfühlatmosphäre in der Stadtbibliothek, über die ich damals einen Artikel im Blog geschrieben habe. Darin hatte ich allerdings nicht den lustigsten Abend in Gotha erwähnt, das Geheimnis habe ich erst am Freitag gelüftet: die Wein-Lese! Es gab abwechselnd kurze Lesungen und Weine zum Verkosten. 😊 Zum Glück durfte ich ganz am Anfang lesen, am Ende wäre das nicht gut ausgegangen, weil die Weine wirklich sehr gut waren und ich an einem Tisch mit vergnüglichen Menschen saß. Ein Höhepunkt im Gothaer Jahresverlauf ist das Gothardus-Fest, von dem die ganze Stadt schwärmte. Nachdem ich es miterlebt habe, kann ich das verstehen, es ist Mittelaltermarkt, Kirmes, Festumzug, Musikfestival in einem. In meinem Blogbeitrag habe ich dem Namen nachgespürt, das könnt ihr auch am Ende dieses Beitrags nachlesen.

Natürlich habe ich mich in der Lesung an meine Spaziergänge im Schlosspark allgemein erinnert und an die Illuminaten-Führung mit dem Gothaer Landtagsabgeordneten Mathias Hey, von der mir besonders der Gedanke der Illuminaten hängengeblieben ist, dass man nichts auf den ersten Blick vollständig erfassen kann, was sich im Park hinter dem Herzoglichen Museum widerspiegelt, da zitiere ich mich selbst im Blogbeitrag 🙂 „Ein Beispiel dafür ist die Insel im Teich, die man – und das habe ich jetzt mehrmals überprüft – wirklich von keiner Uferstelle vollständig erkennen kann. Erst, wenn man den Teich einmal umrundet hat, wird einem klar, dass es eine Insel ist. Wenn das ein Grundprinzip der Illuminaten war, dann wünsche ich mir, dass heute alle Menschen Illuminaten werden und erst eine Meinung äußern, wenn sie ein zweites oder drittes Mal hingeschaut haben.“ Der Wunsch ist geblieben und ich habe mich gefreut, dass alle Zuhörenden an dieser Stelle genickt haben.

Während meiner Zeit in Gotha habe ich nicht nur geschrieben und gefeiert, sondern auch Projekte durchgeführt oder daran teilgenommen. Die Stadtbibliothek hatte die Idee, zwischen Schulklassen in Gotha und Hagen Brieffreundschaften zu initiieren, so war ich in Gotha in einer dritten Klasse, die Briefe an Kinder in Hagen geschrieben haben. Ich war dann die Briefträgerin und habe mit den Hagener Kindern Antwortbriefe geschrieben. Was mich besonders berührt hat, war die Frage der Hagener Kinder, ob sie die Briefe, die an sie persönlich adressiert waren – in hübsch gestalteten Umschlägen – wirklich behalten dürften. Leider konnte das Projekt wegen des Shutdowns nicht fortgeführt werden, sollte ich aber je wieder irgendwo als Stadtschreiberin sein, werde ich die Idee aufgreifen.

Inspirationen in und aus Gotha

Es gab allerdings einige Projekte, aus denen Neues entstanden ist. In Gotha habe ich zum Beispiel zum ersten Mal in einer Schulklasse meinen „Wünsche-Buch“-Workshop durchgeführt und die 19 Kinder, die am Schluss auf meine Frage, wie sie die zwei Stunden fanden, beide Daumen gehoben haben, war Motivation an dem Projekt weiterzuarbeiten. Im letzten Jahr habe ich einige Workshops im Rahmen der TalentTageRuhr und der Kulturstrolche Hagen in vierten Klassen durchgeführt. Nach der Lesung kam am Freitag eine Zuhörerin zu mir und bedankte sich, dass ich den Kindern mit meinem Projekt die Gelegenheit geben würde, ihre Wünsche zu formulieren – für jetzt und später. Aus dem Projekt eines Gothaers, der jugendliche Gästeführer:innen ausbildete, habe ich die Idee entwickelt, in Hagen mit Kindern und Jugendlichen einen Stadtführer für Kinder zu schreiben, der am Ende sogar veröffentlicht – und wie ich von der Bücherei erfahren habe – sogar aus Bayern bestellt wurde.

Mein literarischer Richtungswechsel in Gotha

Vielleicht hätte ich im Juli 2019 auch in Hagen darüber nachgedacht, ob ich weiterhin Krimis schreiben möchte. In Gotha hatte ich aber mehr Zeit, mir über das Geschehen in Deutschland und der Welt Gedanken zu machen. Als im Juli 2019 ein Mann ohne Anlass und Motiv, aus reiner Lust an der Gewalt, eine Frau vor einen Zug stieß, war für mich klar, das ist ein Level in unserer Gesellschaft, von dem ich mich distanzieren möchte. Ich will und mag mir keine Verbrechen und Gewalttaten für Krimis mehr ausdenken, die andere zur Unterhaltung lesen. In Gotha hatte ich Zeit, mir Gedanken zu machen, was ich stattdessen schreiben möchte und kann. In der Zeit arbeitete ich gerade an meinem Roman „Den Traum im Blick“ über die Schauspielerin und Schriftstellerin Herti Kirchner. Im Straßenbild von Gotha war mir gleich zu Anfang das Denkmal von Herzogin Luise Dorothea von Sachsen-Gotha-Altenburg aufgefallen, das ist als einzige Denkmal einer Frau entpuppte. So kristallisierte sich heraus, dass ich statt Romane über Verbrechen, Romane über Frauen schreiben möchte und zwar über vergessene Frauen. Über Frauen, die in ihrer Zeit etwas geleistet haben, das vielleicht sogar bis heute nachwirkt, und die heute niemand oder kaum jemand kennt. Der Gedanke wurde verstärkt durch drei Broschüren mit Frauenporträts, die ich in der Stadtschreiber-Wohnung fand. Da tauchten Schriftstellerinnen auf, von denen ich noch nie gehört hatte und eine Künstlerin, über die der bekannte Schriftsteller Oskar Maria Graf vor hundert Jahren eine Biografie geschrieben hatte. Diese Broschüren haben mich einerseits in meiner neuen Ausrichtung bestätigt und andererseits inspiriert, in Hagen nach vergessenen Frauen zu suchen, von denen ich heute einige bei meinen Rundgängen auf den Spuren vergessener Frauen in Hagen vorstelle.

Der Blick auf den anderen Teil Deutschlands

Und dann ist mir in Gotha klargeworden, dass ich bei meiner Arbeit eben doch davon beeinflusst werde, dass ich im Westen Deutschlands aufgewachsen bin. Das wurde dadurch verstärkt, dass ich in verschiedenen Regionen Westdeutschlands gelebt habe, in Münster, Bonn, Baden-Württemberg und jetzt im Ruhrgebiet. Überall habe ich andere Einflüsse erlebt, aber eben Erinnerungen und Erfahrungen aus dem Westen. In meinen Vorlesegeschichten für Senior:innen habe ich meist allgemeine Erlebnisse aufgegriffen und da, wo es mir auffiel, auch die Ostperspektive versucht. Dass das von außen nicht leicht ist, ist mir in Gotha aufgefallen, als jemand von der Friedensfahrt sprach und ich damit nichts anfangen konnte. In dem Buch „Aber bitte mit Marmelade“, das in Gotha entstanden ist, habe ich dann darüber eine Geschichte geschrieben. Damit die Lesung am Freitag beendet und viel Heiterkeit geerntet, es war ja auch eine Schmunzelgeschichte 😊

Ein Fazit sechs Jahre später nach zwei neuen Tagen

Nach meiner Ankunft in Gotha, habe ich gleich eine Runde im Schlosspark gemacht und mich sofort wieder heimisch gefühlt. Den Park vermisse ich in Hagen sehr. Aber auch die vielen schönen alten Gebäude, das Herzogliche Museum, Schloss Friedenstein, das historisch Rathaus, das Haus mit der Stadtschreiber-Wohnung, überall begegnen einem Geschichten aus einer Zeit lange vor unserer Zeit. Ja, in Hagen gibt es auch einige dieser Orte, aber es doch etwas anderes sich vorzustellen, dass schon Goethe in dem Park spazieren gegangen ist und bereits Queen Victoria und die Brüder Grimm hier zu Besuch waren. Vielleicht ist es aber auch die Tatsache, dass die kulturelle Geschichte der Stadt Gotha überall präsent ist, nicht umsonst heißt das Stadtmarketing hier „Kultourstadt Gotha“. So bin ich trotz aller Vorfreude auf mein Zuhause mit einer leichten Wehmut abgereist und überlege, ob ich mich doch noch einmal als Stadtschreiberin bewerben sollte. Zumal ich festgestellt habe, dass ich viele Fragen in dem Jahr nicht geklärt habe 😊und noch einiges neu zu entdecken ist, dieses Mural zum Beispiel:

Kolumne 1: In der Fremde sieht man anders

„Sei nicht so neugierig“, war der Satz, den ich als Kind vermutlich am häufigsten zu hören bekam. Nicht auf Hochdeutsch, sondern im Plattdeutsch meiner Heimatstadt im Münsterland. Den Dialekt habe ich im Laufe meines Lebens zwischen Borken und Hagen verloren, die Neugier ist geblieben. Und sie ist es, die mich als Stadtschreiberin nach Gotha geführt hat. Nach einem kurzen Arbeitsaufenthalt im Schwarzwälder Schnee und dem Abschluss meines Studiums in Münster und Bonn habe ich zehn Jahre in Württemberg gelebt, zehn Jahre in Bochum und zehn Jahre in Hagen. Im letzten Jahr hatte ich das Gefühl, dass meine Neugier neues Futter brauchte. Von Hagen wollte ich mich aber nicht trennen, also habe ich ein Stipendium gesucht, das mir ermöglicht, eine neue Region, ihre Menschen und Traditionen kennenzulernen. So habe ich mich um das Kurd-Laßwitz-Stipendium der Stadt Gotha beworben. Da bin ich nun als Stipendiatin und Stadtschreiberin der Stadt Gotha im Jahr 2019!

Seit ich offiziell die Urkunde als Stadtschreiberin vom Oberbürgermeister bekommen habe und mir der Schlüssel für die Wohnung im Brühl übergeben wurde, war ich immer mal wieder ein paar Tage in Gotha. So habe ich schon einige Menschen aus der Stadt getroffen. Dann wurde ich oft gefragt, was eine Stadtschreiberin eigentlich macht. Das Stipendium ist wirklich mit ein paar Aufgaben verbunden, ich werde ein Kinderbuch schreiben, regelmäßig über meine Erlebnisse in der Thüringer Allgemeine berichten, Lesungen und Workshops durchführen. Aber vor allem, denke ich, will ich als Stadtschreiberin die Stadt sehen lernen und lehren. Ja, genau, die Stadt betrachten und meine Entdeckungen weitergeben. Ich beobachte die Stadt mit der Neugier, die meine Eltern in den 1960er-Jahren bestimmt angestrengt hat. Ich schaue, höre, rieche und schmecke mit dem Blick einer Fremden und stelle Fragen über Fragen. Aber indem ich die Fragen stelle, erinnere ich hoffentlich Sie, die Menschen in Gotha, daran, welche spannenden Schätze es in Ihrer Stadt gibt.

Das ist es, was für mich die Aufgabe einer Stadtschreiberin ausmacht. Zum ersten Mal habe ich das erlebt, als ich vor gut fünf Jahren in Albstadt als Albschreiberin war. In zwei Wochen wollte ich möglichst viel von der Stadt sehen und kam mir vor wie im Paradies, weil mir jeder Antworten gab und ich oft auch hinter die Kulissen schauen durfte. Das hat mich nicht nur schlauer über Albstadt gemacht, sondern auch neugierig auf meine Heimatstadt und meinen Wohnort. Manche Menschen in Hagen sagen sogar, ich hätte sie mit meiner Neugier erst auf Besonderheiten in der Stadt aufmerksam gemacht. Wenn manche Gothaer das am Ende des Jahres auch sagen könnten, würde ich mich freuen. Einen kleinen Vorgeschmack hatte ich schon bei einem der ersten Gespräche in Gotha. Ich schwärmte von der alten und neuen Fassadenkunst, den schönen Hauszeichen und dem interessanten Eisbär-Graffiti am Hauptmarkt. Fragen Sie sich auch, wo denn am Hauptmarkt ein Eisbär-Graffiti ist? Schauen Sie beim nächsten Einkauf oder Stadtbummel genau hin. Sicher sind Sie alle schon daran vorbeigegangen, in ihrem Heimat-, Wohn- oder Arbeitsort. In der Fremde sieht man eben anders. Und wundern Sie sich nicht, wenn ich mich auf die schönen Dinge des Lebens und der Stadt konzentriere. Negative Dinge gibt es überall, ich finde die Zeit zu schade, um sich damit zu beschäftigen und sammle stattdessen lieber Tag für Tag große und kleine Freuden und Begegnungen, vielleicht demnächst auch mit Ihnen. Ihre Birgit Ebbert

03.05.2019 Das Gothardus-Fest und der heilige Gothardus

Am kommenden Wochenende findet nun also das Gothardus-Fest statt, von dem mir nahezu jede und jeder erzählte, mit dem ich in Gotha ins Gespräch kam. Seit Wochen finden sich überall in der Stadt Plakate und Transparente, bei mir im Haus, wo das Stadtmarketing aka KultourStadt Gotha sein Büro hat, wird gewerkelt und am Sonntag auch in der Stadt. Inzwischen konnte ich schon erfahren, dass auf dem Buttermarkt die Feste Grimmenstein, die als Folge der Grumbachschen Händel im 17. Jahrhundert geschleift wurde, aufersteht.

Das Programm des Gothardus-Festes
Es ist kaum zu glauben, was im Rahmen des Gothardus-Festes alles stattfindet – teils direkt vor meiner Tür. Ab Freitag 16.00 Uhr findet auf dem Buttermarkt ein Mittelaltermarkt statt, auf dem Parkplatz Margarethenstraße, den ich noch finden muss, gibt es den Gothardusrummel und bei mir vor der Tür findet das Kinderprogramm statt samt Puppenspieler, Samstag und Sonntag ist er ab 11 Uhr geöffnet. Sehr gespannt bin ich natürlich, HagenerInnen ahnen es schon, auf das Riesenrad, das oben auf dem Schlossberg stehen soll, mal sehen, vielleicht wage ich mich mal wieder in eine Gondel, um den Eindruck mit der Fahrt auf dem Hagener Weihnachtsmarkt vergleichen zu können 🙂 Musik gibt es für jeden Geschmack, Swing, Klaviermusik – auch vor meiner Tür 😊, Folk, Rock, Pop … auf mehreren Bühnen. Aber nicht verpassen will ich die offizielle Eröffnung, den Lichterlauf zur Orangerie, das Höhenfeuerwerk und am Samstag den Festumzug. Ein Wahnsinnsprogramm mit über 100 Programmpunkten im Programmheft, die werde auch ich nicht alle schaffen. Aber ich werde bei Facebook berichten.

Wie Gothardus nach Gotha kam oder so
Wenn um einen Heiligen ein solches Gewese gemacht wird, werde ich neugierig und ich habe sehr geschmunzelt über das, was ich herausgefunden habe. Ich dachte nämlich, Gotha sei nach dem heiligen Herrn namens Gothardus oder auch Gotthard oder Godehard, wie er andernorts heißt, benannt. Dafür gibt es allerdings keinen Beleg. Vielmehr scheint es eher so zu sein, dass Gothaha, wie die Ansiedlung ursprünglich hieß, vom althochdeutschen Wort „guot“ abgeleitet, wobei „Gothaha“ übersetzt so viel bedeutet wie „gutes bzw. fließendes Wasser“. Das passt doch gut zur Wasserkunst und dem 500-jährigen Jubiläum des Leinakanals. Erstmals erwähnt wurde die Siedlung übrigens in einer Schenkungsurkunde vom 25. Oktober 775, hier überlässt Karl der Große dem hessischen Klostter Hersfeld den Zehnt der Siedlung „villa gothaha“.

Wie aber kommt nun Gothardus in die Gothaer Geschichte? Gothardus oder Gotthard war einiger der bedeutendsten Heiligen im Mittelalter. Es wird vermutet, dass die Damen und Herren, sprich Nonnen und Mönche der beiden Gothaer Klöster es irgendwie schafften, Gothardus ins Stadtwappen zu bringen. Verständlich ist das schon, damals konnte man noch nicht googlen, woher der Name Gotha kommt und die Nähe zu Gothardus war für die geistlichen Menschen wahrscheinlicher als eine Ableitung von „guot“. Jedenfalls findet sich Gothardus mit seinen Insignien nachweislich auf einem Stadtsiegel, das um 1250 verwendet wurde. Und so war er eben da. Also wird er gefeiert, man muss die Feste eben feiern, wie sie fallen. Und ich feiere natürlich mit, mit einem kleinen Schmunzeln und der Idee, in Hagen mal nachzufragen, ob auf einem alten Stadtsiegel nicht auch ein Heiliger zu finden ist, den man feiern kann.

28.08.2019 Auf Entdeckungstour im Schlosspark

Der Park von Schloss Friedenstein ist für mich so etwas wie ein zweites Zuhause geworden, hier entspanne ich mich zwischen zwei Schreibphasen, hier sammle ich Ideen oder schaue einfach nur zu, was Menschen und Tiere machen. Dass ich dabei nicht nur im Grün unterwegs bin, sondern in einem Natur-Raum, der von Landschaftsarchitekten vor Jahrhunderten konstruiert wurde, hätte ich nicht gedacht. Seit ich an einer Parkführung mit dem Gothaer Landtagsabgeordneten Matthias Hey teilnehmen durfte, sehe ich diesen Park und alle anderen mit ganz neuen Augen.

In der Orangerie geht es los
Ich gebe zu, ich gehörte zu denen, die dachten, eine Orangerie sei ein Gebäude und der Park davor müsste irgendwie anders bezeichnet werden. Weit gefehlt, die Orangerie ist der Park, das Gebäude das Orangenhaus, in dem die Orangenbäumchen und andere kälteempfindliche Pflanzen überwinterten. Deshalb waren die Fenster des Gothaer Orangenhauses auch bereits Mitte des 18. Jahrhunderts doppelverglast! Zu jener Zeit etwa ließ Friedrich II die Orangerie anlegen, die nicht – wie ich dachte – zu Schloss Friedenstein gehörte, sondern zu dem kleinen Schlösschen gleich gegenüber. Schloss Friedrichsthal, das ein kleines Ebenbild von Versailles darstellt. Damit die Besucher, wenn sie aus Klein-Versailles kommen nicht gleich Schloss Friedenstein sehen, hat man einen Erdwall aufgehäuft, der die Gärten trennt. Obendrauf wurde eine Balustrade gesetzt, von der aus man einen herrlichen Blick über den barocken Garten hatte, in dem 2.500 Kübelpflanzen standen – heute sind es noch 250, es gibt ja auch keinen Herzog mehr, der das alles finanziert.

Und dann der englische Landschaftsgarten
Wenn man sich an der Orangerie sattgesehen hat und sich umdreht, schaut man in einen Park, der unendlich erscheint. Obwohl Schloss Friedenstein auf dem Berg thront, ist es kaum zu sehen. Wohin man schaue sind Bäume, Sträucher und Wiesen. Dieser Eindruck ist nicht zufällig, sondern gewollt, das ist die Idee der englischen Landschaftsparks, so klein sie auch sein mögen, sei erwecken den Eindruck, als befinde man sich in einem riesigen Naturreservat ohne künstliche Wege, Bänke und ähnlichen Menschentand. Heute gibt es in dem Park natürlich Bänke, aber je nachdem, woher man geht, kann man noch die Idee der Gärtner vor 250 Jahren erleben. Baumpaare bilden Fenster, die einen Blick ins unendliche Grün zeigen, Rasenflächen sind so angelegt, dass die Wege in der Ferne nicht zu erkennen sind und das sonst weithin sichtbare Schloss ist hinter Bäumen versteckt. Die Bäume wurden nicht, wie man denken könnte, als Schößlinge eingepflanzt, sondern aus der Umgebung und teils sogar aus Übersee in der erforderlichen Größe herangeschafft. Ich war sehr beeindruckt, dass die beiden Zypressen, die eine Art Tor zum unteren Teil des Parkes bilden, aus dem Jahr 1787 stammen und aus Kanada hergeschafft wurden.

Der geheime Garten der Illuminaten
Ganz besonders viele Gedanken haben sich die Landschaftsarchitekten über den Park hinter dem Herzoglichen Museum gemacht. Federführend war Ernst II von Sachsen-Gotha-Altenburg, von dem man weiß, dass er Illuminat war. Die Geschichte der Illuminaten müsst ihr woanders nachlesen, das ist ein extra Thema, wenn auch sehr spannend. Im Park wurden durch die Art der Bepflanzung und die Gestaltung des Teichs samt Insel Grundgedanken der Illuminaten symbolisiert, die auch unabhängig von dem Geheimclub oder -orden wichtig sind. Die Bäume zum Beispiel wurden so angepflanzt, dass es Wechsel von Schatten und Licht auf dem Weg rund um den See gibt. So ist das Leben, ein Wechsel von hell und dunkel, Schatten und Licht, faszinierend, oder? Genau wie der Gedanke, dass man nichts auf den ersten Blick vollständig erfassen kann. Ein Beispiel dafür ist die Insel im Teich, die man – und das habe ich jetzt mehrmals überprüft – wirklich von keiner Uferstelle vollständig erkennen kann. Erst, wenn man den Teich einmal umrundet hat, wird einem klar, dass es eine Insel ist. Wenn das ein Grundprinzip der Illuminaten war, dann wünsche ich mir, dass heute alle Menschen Illuminaten werden und erst eine Meinung äußern, wenn sie ein zweites oder drittes Mal hingeschaut haben. Wieso fällt mir dabei die Diskussion über den angeblichen Überfall in einem Düsseldorfer Freibad von angeblichen Nordafrikanern ein. Was haben alle gewettert – über nichts, wie sich herausstellte, nachdem die Überwachungskameras ausgewertet wurden. In solchen Fällen wünsche ich mir auch von Journalisten einen zweiten Blick und vor allem vernünftige Recherche, wie ich das mal gelernt habe.

Apropos Recherche, natürlich habe ich recherchiert, was es mit den Illuminaten auf sich hatte. Erst im letzten Jahr hatte ich in einem Kinderbuch über sie gelesen, ich war schon damals fasziniert, fand allerdings, dass das jetzt kein vordringliches Thema für ein Sachbuch für Grundschüler sei. Wäre in dem Buch auf die Grundideen hingewiesen worden, hätte ich das vielleicht anders gesehen. Bei meiner Recherche fand ich auch einen sehr lesenswerten ZEIT-Artikel über den Gang mit Matthias Hey durch den Mysteriengarten. Wer also mehr wissen möchte, kann es hier nachlesen – oder natürlich nach Gotha kommen, es kann allerdings sein, dass die Rundgänge in diesem Sommer ausgebucht sind, da mancher den Besuch im Ekhof-Theater mit einem Rundgang kombiniert.

29.10.2025 Als Briefträgerin zwischen Gotha und Hagen

Die Stadtbücherei in Gotha hatte die wunderbare Idee, Briefe zwischen zwei Schulklassen aus Gotha und Hagen hin- und herzuschicken. Diese Idee habe ich gerne umgesetzt, nachdem mein Vorhaben, zwei Treffen jugendlicher AutorInnen zu vernetzen, nicht zu realisieren war. Aber da wäre mir auch etwas entgangen, ein außergewöhnliches Erlebnis, das zeigt, dass Kinder auch in Zeiten von WhatsApp, SMS, Social Media und E-Mail noch von Briefen begeistert sind.

Briefe schreiben in Gotha
Das Projekt startete mit einem Schreibvormittag in der Stadtbücherei. Die dritte Klasse der Erich-Kästner-Schule fand sich dort mit Lehrerin und Federmäppchen ein, um Briefe zu schreiben. Im ersten Schritt haben wir geklärt, wie ein Brief aufgebaut ist, schließlich sollten das ja „professionelle“ Briefe werden. Zur Vorbereitung hatte ich mir von der Hagener Klasse die Namen der Kinder geben lassen, die wurden ausgelost, sodass jedes Kind einen konkreten Adressaten hatte. Im zweiten Schritt hat jedes Kind einen Satz über sich selbst geschrieben, das Alter, die Klasse, die Hobbys und sonstigen Interessen. Es war erstaunlich, was sich da offenbarte, ein Junge tritt als Zauberer auf und bekommt sogar Honorar dafür, ein Mädchen ist Cheerleaderin, das zeigte sich ganz nebenbei, weil es wissen wollte, wie man Cheerleaderin schreibt. Diese Information über Interessen von Drittklässlern war für mich und die Lehrerin ein Nebenergebnis des Projekts, alleine dafür lohnt sich eine Wiederholung. In der dritten Phase haben wir gesammelt, was die Kinder für wichtig halten in Gotha, dazu haben sie einen weiteren Satz gebildet. Manche haben mehr, manche haben weniger geschrieben, fast alle haben Brief und Umschlag abschließend bemalt.

Briefe überbringen und schreiben in Hagen
Wie in Gotha habe ich auch in Hagen die Kinder der Klasse 3a der Kipperschule gefragt, ob sie schon Briefe geschrieben oder bekommen haben. Es waren einzelne Kinder, die sich meldeten. Aber alle Kinder in Hagen waren begeistert, dass sie nun einen an sie adressierten Brief bekamen und fragten nach, ob sie den wirklich behalten dürften. Auch hier haben wir kurz besprochen, wie ein Brief aufgebaut ist, dann schrieben die Kinder ebenfalls einen Satz über sich. Manche schrieben gleich weiter, für andere haben wir auch hier Ideen gesammelt, über was in Hagen sie schreiben könnten. Zum Schluss wurden die Briefe gestaltet und mir mitgegeben. „Wann fährst du nach Gotha?“, war die wichtigste Frage, weil die Kinder am liebsten gleich eine Antwort bekommen hätten. Da warte ich jetzt noch auf die Antwort der Schule, auf jeden Fall soll es weitergehen. Ich gehe noch einmal in die Erich Kästner-Schule und bringe die Antworten an die Kipperschule. Spannend, was sich daraus entwickelt.

Mein Fazit zu dem Briefprojekt
Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, aber für mich steht schon jetzt fest, dass ich das – sollte ich je wieder ein Stipendium irgendwo bekommen – gleich am Anfang initiieren werde. Die Freude der Kinder in Hagen über die Briefe war so beeindruckend, dass ich finde, solche Projekte sollte man ganz oft realisieren. Wann immer sich durch Umzüge, Städtepartnerschaften oder andere Bezüge zwischen Orten ergeben. Nebenbei erfahren die Erwachsenen viel über die Kinder und darüber, was ihnen wichtig ist. Vermutlich zum Leidwesen der Oberbürgermeister von Hagen und Gotha waren die Orte, die den Kindern wichtig waren, keine Sehenswürdigkeiten, sondern Eisdielen, Kinos, Spielplätze. Als Schwerpunkt in Gotha wurde aber doch der Tierpark genannt und nach einigem Zögern kam auch Schloss Friedenstein. In Hagen hingegen wurden aus dem Pool der Dinge, auf die die Stadt stolz ist, nur die schönen Wälder. Mich hat das erstaunt, ja, die Kinder sind in der dritten Klasse, aber ich erinnere mich an meine eigene Schulzeit, da waren wir in dem Alter im Heimatmuseum und haben uns in Sachkunde mit unserer Stadt beschäftigt, was im Übrigen auch heute noch im Curriculum der Grundschule vorgesehen ist. Aber vielleicht kommt das noch, wir sind ja erst am Anfang des dritten Schuljahres, dafür konnten die meisten Kinder schon richtig gut schreiben und formulieren. Irgendwie muss ich an dem Projekt dranbleiben.